Drückerkolonnen

Hintergrundinformationen – Erfahrungen – Hilfe zum Ausstieg

Der Name Drückerkolonne setzt sich wie folgt zusammen: „Drücker“ von Klingelknopf- oder Türklinkendrücken, „Kolonne“ von der Arbeit in der Gruppe. Drückerkolonnen existieren schon seit mehreren Jahrzehnten. In der Regel sind es Abonnementverkäufer, die von Tür zu Tür gehen und versuchen, Zeitungsabonnements zu vermitteln. Es werden aber auch andere Waren zum Kauf angeboten, wie zum Beispiel Grußkarten, die angeblich von Behindertenwerkstätten produziert werden sowie Haushaltsartikel und Telefonanbieter. Zur Zeit versuchen auch Verbände wie zum Beispiel die Rettungswacht, Mitglieder auf diese Weise zu werben.

Die Struktur in der Drückerszene sieht folgendermaßen aus: die großen Verlage beauftragen Verlagsservice-Firmen, neue Abonnenten anzuwerben. Es gibt in Deutschland mehrere große dieser Verlagsservice-Firmen, die sich das Bundesgebiet unter sich aufgeteilt haben: die Firma …….. sowie die Firma ……. sind vorwiegend im Süden Deutschlands tätig, die Firma ….. im Norden und die Firma …….. im Osten. Diese beschäftigen jeweils weitere Sub-Unternehmen, welche wiederum Ortsgruppenleiter (Orga) einsetzten, die sich dann Kolonnenführer suchen, die entweder bereits eine Drückerkolonne haben oder eine neue aufbauen.

Die potentiellen Drücker werden dann über eine viel versprechende Zeitungsannonce angeworben: gesucht wird meist ein Produktionshelfer oder Beifahrer, möglicher Verdienst ca.400,- € die Woche, Aufstiegsmöglichkeiten hervorragend, Kost und Logis frei.

Meldet sich ein Bewerber, wird er sofort übernommen. Die Fahrtkosten zur Unterkunft, die meist weit entfernt vom Heimatort liegt und meist eine kleines Hotel oder eine Pension auf dem Land ist, werden übernommen. Beim Eintreffen in der Unterkunft wird unter einem Vorwand der Ausweis eingezogen.

Die Arbeitszeit eines Drückers ist täglich ca. von 9 Uhr bis 20 Uhr. Freizeit wird nicht viel gewährt. Immer steht der Drücker unter Beobachtung und Druck. Der erste Tag als Drücker beginnt mit einer intensiven Schulung, wie Abonnements an der Tür verkauft werden können. Danach erfolgt „Anschauungsunterricht“, wobei ein Neuling einen erfahrenen Drücker begleitet. Wichtig für die Arbeit der Drücker ist vor allem die „Mitleidsmasche“: über eine Umfrage zu einem Thema wie Behinderung, Aids, Drogen oder Strafvollzug findet meist der Einstieg zum Zeitungsverkauf statt. Indem sich der Drücker als angeblich Betroffener zu erkennen gibt, wird versucht, Mitleid zu erzeugen.

Die tatsächliche Bezahlung eines Drückers erfolgt nicht bar, sondern ist in ein Punktesystem gegliedert: jedes verkaufte Abonnement bringt eine bestimmte Anzahl von Punkten, abhängig von der Zeitung oder Zeitschrift. Für den Lebensunterhalt (Unterkunft, Essen, Benzinkosten) ist eine bestimmte Anzahl von Punkten nötig (entspricht ungefähr fünf Abonnements/Tag), die wieder abgezogen wird. Kann der Drücker nicht die geforderte Anzahl verkaufter Abonnements vorweisen, erfolgt in den meisten Fällen eine Bestrafung: Essensentzug, Psychoterror, Schläge, Misshandlungen aller Art. Jeglicher Kontakt mit der Außenwelt (zum Beispiel ein Anruf nach Hause) ist unter keinen Umständen möglich. Der Kolonnenführer wird nicht nach dem Punktesystem bezahlt: er erhält monatlich einen vorher festgelegten Betrag (ca.2000,- €) bar.

Die meisten Aussteiger haben die Kolonne nach wenigen Tagen sofort wieder verlassen. Oft sind hier die Umstände der Flucht schon abenteuerlich, ist man aber erst länger dabei, ist ein Ausstieg fast unmöglich, zumindest aber gefährlich. Zudem sind Drücker, die schon länger dabei sind, oft in einer finanziellen Abhängigkeit von ihren „Vorgesetzten“. Zum Beispiel wird für Drücker kein Krankenkassenbeitrag gezahlt. Nach drei Monaten ist er somit nicht mehr versichert. Bei einer Krankheit bezahlt der Kolonnenführer die private Arztrechnung. Können zur Tilgung dieser Schulden nicht genügend Abonnements verkauft werden, beginnt hiermit der Schuldenberg. Werden Drücker durch die Polizei festgesetzt, da sie nicht den benötigten Reisegewerbeschein vorweisen können, werden sie gegen eine kleine Kaution wieder frei gelassen.

Der Bahnhofsmission Mannheim ist es seit 1993 gelungen, rund 1200 Drückern den Ausstieg zu ermöglichen. Einige davon wurden dann in Zusammenarbeit mit dem Sozialamt mit Hilfe einer Resozialisierungsmaßnahme wieder in die Gesellschaft eingegliedert: sie befinden sich im Berufsleben und unterhalten eine eigene Wohnung. Den anderen konnte schon mit einer Fahrkarte zurück in die Heimat erfolgreich weitergeholfen werden, wobei die Kosten hierfür in den meisten Fällen von der Bahnhofsmission übernommen wurden.

Der Leiter der Bahnhofsmission hat bereits viele intensive Gespräche mit Drückeraussteigern geführt und mehrere handschriftliche Berichte gesammelt, die diesem Referat zu Grunde liegen. Durch aufwendige Medienarbeit wurde von seiner Seite schon mehrmals versucht, die Öffentlichkeit für diese Problematik zu sensibilisieren, zuletzt durch Beiträge in den folgenden Fernsehsendungen: Kennzeichen D; Hallo Deutschland; Landesschau Baden-Württemberg; Die Redaktion; Mensch Ohrner; Fliege; Telethek; Nachtjournal; 37 Grad; RNF plus, Frühstücksfernsehen Sat 1, Report und die Reporter. Dazu kommen unzählige Berichte zu diesem Thema von vielen Rundfunkanstalten. Die zahlreichen Reaktionen nach jeder dieser Sendungen gerade auch von betroffenen Verwandten, Bekannten oder Freunden bestärken immer wieder aufs Neue, die Aufklärung der Öffentlichkeit immer weiter voranzutreiben. Um hier aber Wirkung zu erzielen, benötigt die Bahnhofsmission Mannheim weit reichende Unterstützung. Gefragt sind dabei vor allem Trägerverbände, aber auch Politik und Wirtschaft. Es müssen Anlaufstellen geschaffen werden, am die sich Betroffene wenden können, die aber auch schon im Vorfeld Aufklärungsarbeit leisten. Aber auch die zu Grunde liegenden gesellschaftlichen Probleme wie die hohe Jugendarbeitslosigkeit müssen bekämpft werden, um den Zulauf auf zwielichtige Zeitungsannoncen zu verringern. Haustürgeschäfte sollten gesetzlich unterbunden werden, Finanzämter sollten Unterhalter von Drückerkolonnen genauer prüfen, Reisegewerbescheine müssen regelmäßig polizeilich geprüft werden. Am wichtigsten bleibt aber nach wie vor ein Punkt: Aufklärungsarbeit in der Öffentlichkeit.

Eine Antwort auf „Drückerkolonnen“

  1. Meines Wissens gibt es keine Zeitschriften Drückerkolonnen mehr die von Tür zu Tür laufen alles wird am Telefon aus der Türkei verkauft . Die Jetzigen Drücker von Tür zu Tür verkaufen Strom und sind von Vodafone und solchen Firmen

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